Omegabrücke. Abbruch. Express.

Wir schreiben den 18. September 2023. Die gesperrte, einsturzgefährdete Brücke muss weg. Die Straße unter der Brücke ist gesperrt. Die S-Bahn fährt nicht mehr, es fahren Ersatzbusse.

Auf unbestimmte Zeit rot
Straße ist unter der Brücke gesperrt
Fahrgastinformation
Ersatzbus

In meinem Briefkasten finde ich eine offizielle Mitteilung der Stadt Frankfurt am Main. Es wird ernst mit dem Abbruch. Ich bin erstaunt, wie schnell das jetzt voran geht. Bemerkenswert finde ich die Tatsache, dass die S-Bahn schon im September wieder fahren soll.

Zum Glück verläuft der Gehweg auf der linken Seite nicht unter der Brücke. Deswegen können wenigstens wir Fußgänger problemlos zum Bahnhof laufen.

Gesperrt

Innerhalb von zwei Tagen werden jede Menge Baumaterial und Maschinen aufgefahren. Zunächst wird die Brücke stabilisiert für die Abbrucharbeiten und der Gleiskörper wird vor Beschädigungen geschützt. Die Fahrleitung muss natürlich auch abgeschaltet und abgebaut werden.

Spannend für Groß und Klein. Der Abbruch wird vorbereitet.
Stabilisierung der Brückenpfeiler durch Gurte
Vom Bahnsteig aus betrachtet. Gut zu erkennen ist der Schutz der Gleise über die ganze Breite der Strecke.

Wir schreiben den 23. September. Ein paar Tage mit Vorbereitungen sind vergangen. Heute beginnen die eigentlichen Arbeiten. Die großen Maschinen ziehen die Menschen in ihren Bann. Ich schicke ein paar Bilder in die Familiengruppe und bekomme die Antwort von meiner Schwester, dass sie noch mehr Bilder will. Sie findet die großen Maschinen faszinierend.

Am Nachmittag beginnen die Abbrucharbeiten.

Die Maschinen lärmen schon seit ein paar Stunden, ich mache mich zu einem kleinen Spaziergang auf den Weg. Schon in der kurzen Zeit wurde ein ordentliches Stück Gehweg abgebrochen. Oder vielmehr abgebissen.

Die besten Plätze sind die Sitzplätze
Stehplatzkurve

Ich bewege mich um die Baustelle, schieße hier und dort ein paar Bilder und lasse die Szenerie auf mich wirken. Die Arbeiten gehen rund um die Uhr. Noch vor Mitternacht sind die Fortschritte nicht zu übersehen.

Wie ein riesiger Dinosaurier frisst der Bagger Stück für Stück Brocken aus dem Stahlbeton

Wie Raubtiere sich rund um einen frisch gerissenen Kadaver den Magen voll schlagen, fressen sich die Maschinen von allen Seiten unter großer Lärmentwicklung durch den Beton. Bei Tieren wäre es wohl eher ein zufriedenes Grunzen und Schmatzen, an der Brücke ist es das Brüllen der Dieselmotoren und das Krachen der Brocken auf den Boden.

Nicht so ein kleiner Presslufthammer, wie er auf vielen Baustellen im Einsatz ist. Hier wird der Beton mit einer Maxi-Version zerkleinert.

Die Schläge, mit denen der Bagger die Betonteile lockert, lassen rund um die Brücke den Erdboden vibrieren. Die Vibrationen fühle ich noch in 100 Metern Entfernung. Zu hören sind die Schläge sogar in meiner Wohnung, die sich 500 Meter und mehrere Querstraßen entfernt befindet. Ich schließe mein Schlafzimmerfenster und kann gut einschlafen.

Der mittlere Teil der Brücke über den Gleisen fällt schon in der ersten Nacht

Auch am nächsten Morgen ist das allgemeine Interesse an den Arbeiten nicht geringer geworden. Ich bin selbst natürlich genauso neugierig wie alle anderen. Was ich nicht erwartet hätte ist, dass schon nach der ersten Nacht der mittlere Teil komplett verschwunden sein würde. Nur noch der Schutt auf dem Boden zeugt von der ehemaligen Überquerung der Gleise.

Unstillbarer Appetit

Der Appetit der großen Mäuler ist schier unstillbar. Wie ein Getränk zu Mahlzeit wird dem Monster Wasser gegen die Staubentwicklung gereicht.

Vom Bahnsteig aus betrachtet am zweiten Tag

Gegen Mittag fahre ich ins Stadion. Die Eintracht hat ein Heimspiel gegen Freiburg. Natürlich bin ich nicht auf dem Bahnsteig, um auf die S-Bahn zu warten, sondern nur für dieses Foto. Dann schnappe ich mir mein Fahrrad, denn ich habe keine Lust, spät in der Nacht mit Straßenbahn und Bus wieder nach Hause zu fahren. Flexibilität ist Trumpf in diesen Tagen.

Über das Spiel müssen wir nicht viele Worte verlieren. Vor dem Spiel ist die Stimmung groß, doch der Endstand ist lediglich ein 0:0. Mit dem Fahrrad bin ich in einer halben Stunde zu Hause, das ist Rekordzeit. Ich mache noch einen Abstecher zur Baustelle.

Die zweite Nacht, der Tanz geht weiter

Der sorgsam choreographierte Tanz der Ungetüme geht ohne Pause weiter. Auch in der zweiten Nacht fällt der Beton Stück für Stück. Immer noch zittert der Untergrund. Es ist spät geworden an diesem Sonntag. Am Montag fahre ich zwar nicht zur Arbeit ins Büro, doch mein Spaziergang ins Home-Office führt mich von der Küche aus über einen Umweg an der Baustelle vorbei ins Arbeitszimmer.

Am dritten Tag sind die Schienen frei.

Die Schienen sind frei und die Aufräumarbeiten haben begonnen. Das ging richtig schnell. Ich habe die Hoffnung, dass das Tempo beibehalten wird, dass die S-Bahn bald wieder fährt. Doch nach den Aufräumarbeiten ist erst einmal Feierabend. Feierabend ist auch irgendwann in meinem Home-Office und mein Besuch der Baustelle führt mich zu einer friedlichen Szenerie.

Still ruht die Baustelle

Nach zweieinhalb Tagen Lärm, Staub und Vibrationen bietet sich mir ein Bild der Harmonie. Die Brückentrümmer warten auf ihren Abtransport, doch nirgendwo bewegen sich Lastwagen. Die Motoren der Bagger sind verstummt. Die Bauarbeiter sind verschwunden. Das Werk ist vollbracht. Die Bahnstrecke ist wieder komplett frei.

Der Morgen danach

Gleich am nächsten Morgen ist wieder etwas zu sehen. Wieder nehme ich den langen Weg in mein Home-Office. Die Maschinen haben sich verändert. Geradezu filigran wirken die Schienenfahrzeuge gegenüber den beim Abbruch verwendeten Kolossen. Hier wird wieder Aufbauarbeit geleistet, die Fahrleitung muss neu gespannt werden.

Handarbeit statt Maschinenkraft.

Wir schreiben den 26. September. Die Sperrung der Straße unter der Brücke ist gerade einmal eine Woche her. Es sieht aus, als könne die erste S-Bahn heute noch in Griesheim halten. Das ist natürlich Wunschdenken. So schnell geht es nicht. Das alles muss noch abgenommen werden. Deswegen dauert es noch bis zum 28. September, bis sich die Bahnschranken wieder regelmäßig schließen.

Jetzt gibt es auch für PKWs keine andere Möglichkeit, sie müssen am Bahnübergang über die Schienen

Ich bin ein wissbegieriger Mensch. Welche Auswirkungen hat das auf den Straßenverkehr? Wie sieht es am Bahnübergang aus? Einen kurzen Spaziergang später bin ich schlauer. Ich würde sagen, die Auswirkungen sind deftig. Die Autos, die es noch über die Schranke geschafft haben, werden durch den Bus blockiert, der es nicht mehr um die Ecke geschafft hat.

Gerade geöffnet, schon wieder Rot

Zwei S-Bahnlinien, die jeweils alle 15 Minuten fahren, bedeutet acht Züge pro Stunde pro Richtung. Die Schranke schließt sich also recht häufig. Eine weiträumige Umfahrung der Schranke ist möglich, es wird sich zeigen, wie sich die Situation einspielt. Für die Pünktlichkeit der Buslinien 54 und 59 ist es natürlich Gift.

Alleinstellungsmerkmal der Buslinie 59: Sie hat zwei Bahnübergänge auf ihrem Linienweg

Fahrpläne verlieren ihre Verbindlichkeit, werden zur Fiktion. Manchmal kommen mehrere Busse kurz hintereinander, manchmal kommen sie auch nicht. Oder später. Die Linie 59 trifft es besonders schwer, weil sie zwei Bahnübergänge auf ihrem Linienweg hat. Der andere Bahnübergang an der Oeserstraße hat auch üppige Schließzeiten. Hier verkehren mehrere Regionalexpress-Linien, ICEs und Güterzüge. Für mich ist die Durststrecke zu Ende, die S-Bahn fährt mich wieder mit ihrer üblichen Unpünktlichkeit zur Arbeit. Für mich wurde der Grundstein zum regelmäßigen Home-Office gelegt.

Die Omegabrücke wird für Lkws gesperrt

In einem vorangegangenen Beitrag erwähnte ich die Omegabrücke in Griesheim. Die Bilder zu diesem Beitrag sind im Sommer 2023 entstanden. Zur Illustration habe ich heute (im August 2024) nach einem Stadtplan gesucht, der die damalige Situation noch zeigt. Da das ein geklauter Screenshot ist, verrate ich nur, dass es von einem renommierten deutschen Verlag für Kartenmaterial ist. Wir beamen uns nun zurück in den Sommer 2023:

Die örtliche Situation: Alt Griesheim und Griesheim Nord sind an zwei Punkten miteinander verbunden. Westlich des Bahnhofs befindet sich ein Bahnübergang, östlich die Omegabrücke.

Erbau im Jahr 1973 und komplett saniert im Jahr 2015 steht sie am Bahnhof in Griesheim, die Buslinie 59 fährt darüber und weiter bis zu meiner Wohnung. Insofern bin ich betroffen, als Anfang Juli plötzlich die Omegabrücke für Fahrzeuge über 7,5 Tonnen gesperrt wird.

Arbeiter beim Erden der Fahrleitung

Das wird von der lokalen Presse weitestgehend ignoriert, die Autofahrer sind ja nicht betroffen. Etwa um die gleiche Zeit sperrt die DB einen der beiden Bahnsteige, um das Dach der Treppe zur Fußgängerunterführung zu erneuert. Außerdem finden Fahrleitungsarbeiten statt.

Die Konstruktion des neuen Dachs schreitet voran.
Auch die Fahrleitungsarbeiten wurden im Zeitplan abgeschlossen, nach ein paar Tagen fährt die S-Bahn wieder im normalen Rhythmus. Auf der Omegabrücke dürfen Pkws noch fahren.

Ich gewöhne mich daran, für meine zumeist samstags stattfindenden Einkaufsfahrten ins Gallusviertel mehr Zeit einzuplanen. Auf dieser Relation bin ich abhängig von der Buslinie 59. Die darf ja nicht mehr über die Bücke, sie fährt eine Umleitungsstrecke über den Bahnübergang Elektronstraße. Was das bedeutet, wird erst richtig deutlich, als die Fahrleitungsarbeiten abgeschlossen sind und die S-Bahn wieder ihren normalen Takt fährt. Zwei Linien, die jeweils alle 15 Minuten verkehren, bedeuten acht Zugfahrten pro Stunde.

Der Bahnübergang an der Elektronstraße

Dazu kommen noch ein paar Güterzüge, die Fahrten ins Ausbesserungswerk und außerdem stellen die Eisenbahnunternehmen Vias und Start Züge in Griesheim ab. Es gibt also genug Gelegenheiten, vor der geschlossenen Schranke zu warten.

Warten. Noch ist die Schranke erst seit kurzer Zeit geschlossen.

Die Stadt Frankfurt war schnell und hat auf der neuen Busstrecke ein Halteverbot eingerichtet, damit der Fahrplan wenigstens einigermaßen eingehalten werden kann.

Halteverbot in der Autogenstraße
Dieser Bus ist gut durchgekommen.

Sicher kann man nicht erwarten, dass das sofort funktioniert, nach ein paar Tagen sollte es sich eingespielt haben. Ist ja auch gar nicht das Thema. Nach einigen Minuten bilden sich regelmäßig ordentliche Staus auf beiden Seiten. Wenn die S-Bahn dann endlich kommt, warten alle gespannt, ob es weitergeht oder nicht. Manchmal kommt noch eine zweite S-Bahn oder einfach nur eine Rangierlok.

Ist die Wartezeit jetzt vorbei?

Endlich ist das Warten vorbei. Die Schranke ist wieder geöffnet. Jetzt gilt es, auf die andere Seite zu kommen, bevor das gelbe Licht wieder leuchtet und sich kurz danach die Schlagbäume wieder senken. Ohne Hupen geht das gar nicht.

Endlich! Die Schranke ist auf. Man beachte den Bus im Hintergrund.

Die längste Wartezeit an dieser Stelle waren für mich einmal 20 Minuten, in denen die Schranke dreimal runter und wieder hoch gegangen ist, bevor der Bus durch das Nadelöhr ging. Ich frage mich, wie das von den anderen Bewohnern von Griesheim aufgenommen wird. Ich kenne aber kaum einen Menschen hier. Doch es ist egal, wo man lebt. Irgendwo gibt es immer einen Informations-Umschlagplatz. Das kann die örtliche Bäckerei, der Metzger im Stadtteil oder eine Kneipe sein.

Die kleine Kneipe. Innen drin ist sie gar nicht so klein und sie bietet neben frisch gezapftem Bier und den üblichen Spielautomaten die Spiele der Eintracht auf dem Fernseher an. Wenn die Eintracht nicht spielt, ist meistens wenig los. Es gibt viele Stammkunden, die alle von hier sind. Als Zugabe gibt es den gesamten Klatsch und Tratsch aus Griesheim.

Dass sich hier ein Informations-Umschlagplatz befindet, habe ich schon wenige Wochen nach meinem Einzug in die Wohnung bemerkt. Ich habe die beiden örtlichen Kneipen auf Brauchbarkeit getestet. In der kleinen Kneipe habe ich außerdem erfahren, dass mein Nachbar aus dem Erdgeschoss gestorben ist. Das war im Haus noch gar nicht bekannt. Jetzt gehe ich in die kleine Kneipe, um am Tresen zu erfahren, wie die alt eingesessenen Griesheimer über die Brückensperrung denken. Aber da die Pkw-Besitzer nicht betroffen sind, finden keine emotionalen Gespräche statt.

Es dauert nicht lang, dann ist die Schranke wieder zu. Der Bus im Hintergrund ist ein wenig näher gekommen.

Nach einigen Wochen trifft die Stadt aus heiterem Himmel eine Maßnahme, die mit sofortiger Wirkung die Staus am Bahnübergang auflöst. Alle Verkehrsteilnehmer haben immer freie Fahrt und müssen nicht mehr warten. Alle? Fast alle. Jedenfalls alle Straßenverkehrsteilnehmer, über den Schienenverkehr sprechen wir jetzt nicht. Wegen akuter Einsturzgefahr wird die Omegabrücke komplett gesperrt, die Bahn stellt den Zugverkehr in Griesheim ein.

Abgerissenes Flatterband am Bahnhof. Auch wenn man es abreißt, bringt das die S-Bahn nicht zurück.

Die Brückensperrung ist natürlich sofort ein Thema am Biertresen. Jetzt plötzlich ist die Zahl der Betroffenen nach oben geschnellt. Mit persönlich ist die Sperrung eigentlich egal, weil ich durch die Fußgängerunterführung bequem auf die andere Seite komme, für die Busse verschlechtert sich nichts. Am Tresen erfahre ich jedoch auch, dass diese Unterführung im kommenden Jahr für Sanierungsarbeiten gesperrt werden soll. Toll. Diese Sanierungsarbeiten sind seit vielen Jahren geplant, nächstes Jahr sollen sie umgesetzt werden.

Überqueren der Gleise ist verboten aber ungefährlich. Hier fährt kein Zug mehr.

Für mich ist es der Öffi-Supergau. Es fährt keine S-Bahn mehr. Mein Arbeitsweg verlängert sich um eine halbe Stunde pro Richtung, oft noch mehr. Bis ich zum nächstgelegenen Bahnhof mit S-Bahnverkehr komme, muss ich 20 Minuten mit dem Bus oder mit dem Fahrrad fahren. Das betrifft mein Leben wirklich. Ich reduziere die Tage im Büro so weit es geht, das Home-Office bekommt mehr Gewicht. Was die meisten Arbeitnehmer während Corona gelernt haben, nämlich die Arbeit im Home-Office, bekommt für mich in diesen Tagen Gewicht. Ich schätze es sehr, nicht mehr ins Büro pendeln zu müssen. Bei den verbliebenen Tagen im Büro nervt mich die Fahrerei nicht mehr so sehr, sie fällt nicht mehr so ins Gewicht. Es ist eher die Freude darauf, mal wieder persönlichen Kontakt zu den Kollegen zu pflegen. Der fehlt mir dann im Home-Office schon. Auch wenn der Kaffee zu Hause besser ist, trinke ich dann gerne mit den anderen zusammen zu viele Tassen, die aus billigen Bohnen gebraut sind.

Weitwinkelaufnahme der gesperrten Omegabrücke.

In vier Jahren verändert sich die Welt

Im Frühjahr 2019 habe ich Frankfurt verlassen, um die Welt zu umsegeln. Im Herbst 2022 bin ich wieder nach Frankfurt zurückgekehrt. Die Pandemie hat mich an der Weltumsegelung gehindert, es hat nur für die „Atlantikrunde“ gereicht, einmal in die Karibik und zurück. Dennoch war ich fast vier Jahre nicht in Frankfurt, so lange wie nie zuvor in meinem Leben.

Griesheimer Mainufer vor der Frankfurter Skyline. Die Aufnahme habe ich Monate vor meinem Umzug nach Griesheim von der Griesheimer Schleuse aus gemacht.

Die Welt hat sich über 1000 Mal um sich gedreht, eine Pandemie ist gekommen und vergangen, es findet wieder ein Krieg in Europa statt. Die Menschen sind rücksichtsloser geworden. Das jedenfalls ist mein Eindruck. Neue Sitten und Gebräuche haben im Alltag Einzug gehalten.

Am Griesheimer Ufer kann man schön Spazieren gehen.

Bevor ich den Bogen zu den neuen Sitten schlage, möchte ich noch ein paar Bilder aus meinem neuen Stadtteil zeigen. Schließlich habe ich das Blog mit „Leben in Frankfurt am Main“ betitelt.


Ich wohne im „alten“ Griesheimer Ortsteil, der zwischen der Eisenbahnstrecke, einem Bahnbetriebswerk und dem Main liegt. Wenn die Autobahn bei östlichen Windrichtungen nicht so laut wäre (leider hat die A5 an dieser Stelle acht Spuren), wäre es eine sehr ruhige Wohngegend. Zum Glück haben wir meist westlichen Wind, dann ist sie kaum zu hören.

Frankfurt, Griesheim ist eingekreist
Alt Griesheim

Da ich viel im Home-Office arbeite, nutze ich meine Mittagspause gerne für einen Spaziergang am Main. Ich empfinde das als Privileg, es gibt nicht viele Orte in Frankfurt, von denen aus man so schnell am Mainufer ist.

Nutria schwimmt im Main

Kaum schaue ich mich um, sehe ich eine Nutria in voller Geschwindigkeit vorbei schwimmen. Man kann sie öfter sehen, sie wohnt hier in der Gegend. Außerdem ist sie keinesfalls menschenscheu.

Nutria schwimmt ans Ufer

Es macht Spaß, dem Tier zuzusehen. Angeblich soll das Fleisch sehr schmackhaft sein. Eine entsprechende Grillbude ist mir noch nicht begegnet. Im Wasser sind sie sehr elegant unterwegs, an Land würde ich es eher plump nennen. Aber keine Probleme mit Menschen, die Jagd sollte nicht so schwer sein.

An Land nicht mehr ganz so elegant, aber beeindruckend.

Es ist der Stadtteil Alt-Griesheim und dementsprechend stehen hier überwiegend mehr als 100 Jahre alte Häuser. Die Weltkriegsbomben, die das Bahnbetriebswerk und das ehemalige chemische Werk verfehlt haben, sorgten für Baulücken, in denen sich in der Nachkriegszeit modernere Gebäude breit gemacht haben. Ein schönes Gemisch, lebendige Architektur.

Ecke Erzbergerstraße/ August-Bebel-Straße

Besonders gefällt mir die Luxuswohnanlage auf dem nahen Bunker. Diese Art der Bunkernutzung ist zumindest in Frankfurt einmalig. Ich wohne gerne hier. Für Frankfurter Verhältnisse ist die Miete noch einigermaßen günstig. Dementsprechend wohnen hier viele Menschen mit wenig Einkommen. Das macht sich bei den Einkaufsmöglichkeiten und Restaurants bemerkbar – es gibt nur einen (kleinen) Rewe, aber die Discounter Lidl, Netto und Penny haben Dependancen. Es gibt nur ein Speiserestaurant (Adria, kroatisch) im Vereinsheim eines Sportvereins, aber es gibt mindestens sechs Döner-Pizza-und-Burger-Buden und zwei italienische Pizzerien. Etwas einseitig. Die traditionelle italienische Eisdiele wiederum findet meinen Gefallen.

Rechts im Bild der Bunker. Darauf gebaut ist eine Reihe Reihenhäuser. Ich finde dieses Gebäude faszinierend.

Die S-Bahn fährt von hier in vier Minuten zum Hauptbahnhof, in zehn Minuten bin ich mitten in der Innenstadt. Einerseits ist es hier ziemlich abgelegen, andererseits aber auch schön zentral.


Außerdem fährt durch meine Straße eine Buslinie. Die bringt mich zwar nur bis zur Straßenbahn, doch wenn die GdL mal wieder ihre Lokführer streiken lässt, habe ich eine Alternative. Ich sitze am Abend vor dem Fernseher und bin etwas genervt. Draußen wird dauernd gehupt. Ich blicke aus dem Fenster und sehe einen Bus, der in meine Straße einbiegen möchte, aber nicht kann. Der Busfahrer spielt ein Konzert auf seiner Hupe.

Rücksichtsloser Busfahrer hinder rücksichtslosem Autofahrer

Ich will mir das anschauen. An der Ecke, in der die Busse in meine Straße einbiegen, ist extra ein Halteverbot ausgewiesen, damit die Busse um die Ecke kommen können. Falschparker, die Busse blockieren, gibt es natürlich schon so lange, wie es Falschparker und Busse gibt. Außerdem ist Hupen immer ein schönes Ventil, auch um 23 Uhr. Ich treffe kurz nach dem zweiten Bus ein. Die Busfahrer streiten lautstark, der Fahrer des hinteren Busses ist der Meinung, dass man um die Ecke kommen kann. Sieht aus der Handyperspektive so aus, macht aber die Rechnung ohne den auf der rechten Bildseite falsch geparkten Mercedes.

Handynutzer und Im-Weg-Steher. Neuer Trend ist, an der Tür stehen zu bleiben und den anderen Fahrgästen den Weg zu blockieren.
In jeder sozialen Schicht werden die Geräte genutzt.

Das ist aber gar nicht das Thema. Ich möchte kurz auf die neuen Sitten beim Handygebrauch schauen. Schon vor meiner Abreise haben mich die Dauertelefonierer in der Straßenbahn genervt. Dass das nach meiner Rückkehr so viel schlimmer sein würde, hätte ich nicht erwartet. Ich habe gar keinen Gedanken daran verschwendet.

In jedem Alter werden die Geräte genutzt.
Zu jeder Tageszeit.
Wirklich in jedem Alter. Doch es ist selten, dass die Geräte nur zum Lesen verwendet werden.

Die Pest heißt Tiktok. Das gibt es in der Form seit August 2018. Ich habe euch den Wikipedia-Beitrag verlinkt. Somit war es noch kein Jahr auf dem Markt, als ich abgereist bin. Nervös zucken die Finger über den Bildschirm mit den Videoclips. Kaum jemand sieht die Clips bis zum Ende, nach wenigen Sekunden wird weiter gewischt. Ist ja noch kein Grund, davon genervt zu sein.

Was nervt, ist der Lautsprecher, aus dem der Ton kommt. Dazu kommen noch die zeitgleichen Telefonate anderer Fahrgäste, die heutzutage üblicherweise mit dem Lautsprecher geführt werden. Wenn 100 Menschen in der Straßenbahn sind, haben 99 von ihnen das Gerät vor der Nase. In den öffentlichen Verkehrsmitteln hat sich leider die Kakophonie des multilingualen Smartphone-Geräuschteppichs durchgesetzt. Es ist eine gewaltige qualitative Änderung in so kurzer Zeit.

Blick vom S-Bahnsteig des Westbahnhofs auf die Frankfurter Skyline

Jetzt habe ich mich genug aufgeregt. Wenn ich genervt genug bin, liebäugele ich mit der Anschaffung eines Autos. Für den Stadtverkehr. Als Ersatz für die Öffis. Ich würde damit nie zur Arbeit fahren, dort gibt es keine Parkplätze in der Nähe. Die KollegInnen konkurrieren mit den Anwohnern. Aber für die Stadt… da gibt es auch keine Parkplätze. In meiner Straße stehen die Falschparker auf beiden Seiten. Der Anzeigenhauptmeister hätte seine helle Freude. Also bleibt es nur bei dem Gedanken. Ich frage mich, wie die Fahr-Doch-Porsche-Partei noch mehr Autos in die Stadt bekommen will.


Die Künstlergruppe „Dies Irae“ (Tag des Zorns) hat dies in die Schaukästen an einigen Haltestellen gebracht. Ach ja, die Autos von heute sind auch ein Ausdruck der Rücksichtslosigkeit. In den letzten vier Jahren haben sie Adipositas entwickelt.