Studiomuc

Der große Vorteil des Reisens auf dem eigenen Boot ist, dass man sich nie Gedanken darüber machen muss, wo man die kommende Nacht schlafen wird. Koje, Küche und Kühlschrank reisen mit. Wenn ich 2019 gewusst hätte, wie sich die Welt in 2023 entwickelt haben wird, hätte ich meine Wohnung in Frankfurt Bonames nicht aufgegeben. Wahrscheinlich hätte ich meinen Job nicht aufgegeben und wäre nicht losgefahren. War es ein Fehler, einen solch radikalen Schnitt zu machen?

studiomuc Apartmenthaus

Der erste Teil der Wohnungssuche ist von Holland aus einigermaßen schnell erledigt. Ich buche mir ein möbliertes Apartment in einem sogenannten Boardinghaus. Hier muss ich nur mit meinem Kontostand die Zahlungsfähigkeit beweisen. Dafür darf ich dann ab dem 15. Oktober für 1050€ im Monat 18,7 Quadratmeter bewohnen. Das sind 35€ pro Nacht, kaum günstiger als das Hotel auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Dort bewohne ich zunächst für 40€ pro Nacht ein knapp 13 Quadratmeter großes Zimmer.

Rezeption. Von Montag bis Freitag zwischen 7 und 19 Uhr besetzt.

An Wochentagen sitzt hier von 7 bis 19 Uhr ein Concierge. Das ist praktisch, denn hier werden Pakete angenommen. Außerdem nimmt er Beschwerden an, etwa wenn die Küchenspüle undicht ist.

Großzügige Eingangshalle. Sie ist fast immer leer.

Die großzügige Eingangshalle spiegelt Weitläufigkeit und Luxus vor. Sie wird fast nie genutzt. Einmal wurde sie für eine Party einen Abend lang vermietet. In den Zimmern selbst findet sich diese Weite nicht. Ich bin dennoch froh, unbürokratisch und schnell eine vorläufige Bleibe gefunden zu haben.

Blick aus dem Eingangsbereich ins Zimmer. Es gibt eine Mikrowelle aber keinen Backofen.
Küchenzeile und riesige Schränke zum Verstauen meiner wenigen Sachen.

Home Sweet Home. Es scheint, als sei alles vorhanden, was man zum Leben braucht. Von hier aus werde ich die Suche nach einer permanenten Wohnung beginnen. Auch die Suche nach einer Arbeitsstelle wird dringender. Noch habe ich genug finanzielle Rücklagen, doch über kurz oder lang werden diese aufgebraucht sein. Ich muss die Lebenskosten drücken und wieder für einen regelmäßigen Geldeingang auf meinem Konto sorgen. Das ist ab sofort mein Job.

Kaffee-Ausrüstung, die zweimal über den Atlantik gefahren ist. Die Bohnen sind frisch.

In den Werbeprospekten für Studiomuc sieht man eine junge Frau, die entspannt auf dem Sofa liegt und einen Laptop auf ihren Oberschenkeln balanciert. So könnte ich eine Email beantworten, dann würde ich mich mit Rückenschmerzen auf eben dieser Couch zusammen krümmen. Also setze ich mich lieber an den kleinen Tisch, der mir aber in Verbindung mit dem Stuhl keine vernünftige Arbeitshaltung am Computer erlaubt. Auf Sissi am Salontisch mit dem Computer zu arbeiten, ist wesentlich entspannter. Lange kann ich hier nicht wohnen.

Blick aus meinem Apartment auf die Frankfurter Skyline im Hochnebel.

Die letzte Wohnung habe ich in 2012 gesucht. Damals gab es noch mehr als eine Plattform im Internet zur Wohnungssuche. Damals gab es auch noch Immobilienanzeigen in der Tageszeitung, die ich auf Papier gedruckt jeden Morgen in den Briefkasten geworfen bekam. Damals musste der Mieter dem Makler noch seine Provision bezahlen. Damals hatte ich innerhalb von vier Wochen eine neue Wohnung gefunden. Heute gibt es offenbar nur noch eine Plattform. Die Immobilienmakler sammeln jetzt intimste Daten potenzieller Mieter, um dem Vermieter passgenaue Vorschläge zu präsentieren. Fast jede Wohnungsbaugesellschaft hat zusätzlich noch eigene Plattformen, in denen man sich registrieren muss. Selbstverständlich darf man überall mehr oder minder die gleichen intimen Daten eingeben. Außerdem benötigt man eine Schufa-Auskunft (ca. 30€).

Schufa-Auskunft

Ich klicke jede Wohnung an, die auch nur ansatzweise in Frage kommt. Dann beginnt der lustige Teil. Von Nord nach Süd, von Ost nach West tingele ich mit der Straßenbahn und nehme an Wohnungsbesichtigungen teil. Fruchtlos. Ich kann kein regelmäßiges Einkommen nachweisen. Das bringt mich wieder zu meinem Zweitjob, der Arbeitssuche. Doch der Tag hat nur 24 Stunden, die nächste Wohnungsbesichtigung wartet schon. Ich habe einen Termin im äußersten Westen Frankfurts. Wenigstens ist die Wohnung keine fünf Minuten von der S-Bahnstation Sindlingen entfernt. Die „teilmöblierte“ Einzimmerwohnung mit 25 m² soll 540€ kalt kosten. Sie ist im Erdgeschoss und die Möblierung besteht aus einer Einbauküche, deren Türen schief in den Scharnieren hängen. Gemeinsam mit einem halben Dutzend Teilnehmern bekunde ich, dass mein Interesse ungebrochen ist. Später am Tag habe ich noch einen Termin im äußersten Osten. Dort sind zwei Zimmer auf 40 m² mit Balkon für 620€ im Angebot. Die S-Bahn wird hier in der Nähe erst in vielen Jahren ankommen. Man muss mit dem Bus die eineinhalb Kilometer zum Bahnhof fahren. Auch hier bekunde ich mein ungebrochenes Interesse am einem ehemaligen Wohnheimzimmer eines ehemaligen Altenpflegeheims.

Wohnungsanzeige in einem Schaukasten

Ich laufe viele Wohnviertel ab, betrete Supermärkte und schaue mir Kleinanzeigen an. Manchmal finden sich sogar Wohnungsangebote, meistens sind es jedoch Gesuche. Eine Wohnungsbaugesellschaft hat sogar einen Schaukasten. Vielleicht ist diese Wohnung ja nicht im Internet zu finden, ich bewerbe mich sofort per Email. Inzwischen bin ich völlig schmerzfrei beim Umgang mit den persönlichen und intimen Daten. Hauptsache, ich bekomme endlich eine Wohnung. Mit der Zeit trudeln die Absagen herein. Immer wieder werde ich aufgefordert, einen Gehaltsnachweis einzureichen. Eine Wohnung jedoch sticht aus allen Angeboten heraus. Sie liegt in Schwanheim und wird von Privat vermietet. Ich bin der einzige Interessent beim Besichtigungstermin. Der Makler ist der Meinung, dass er das Problem mit dem Gehaltsnachweis beim Vermieter wegdiskutieren kann. Wir machen einen zweiten Termin mit der Beauftragten der Erbengemeinschaft. Ich kann mein Glück kaum fassen. Schwanheim ist zwar reichlich abseits des Zentrums gelegen, doch wenigstens gibt es eine Straßenbahn. Drei Tage später ruft mich der Makler an. Die Erbengemeinschaft hat entschieden, die Wohnung zunächst nicht zu vermieten. Ich bin wieder am Anfang.

Hausbesetzung im Frankfurt Gallusviertel, Günderrodestraße

Ein paar Schritte von meinem Apartment im Studiomuc haben einige Dutzend junge Menschen für sich eine Antwort gefunden und ein Haus besetzt. Vom S-Bahnsteig aus kann ich beobachten, wie die Polizei das Gebäude umringt. Hier werden über kurz oder lang günstige Altbauwohnungen durch neu gebaute moderne Wohnungen ersetzt. Die jungen Menschen demonstrieren für den Erhalt günstigen Wohnraums und mein Verständnis ist grenzenlos. Der Eigentümer des Grundstücks hat sich dann entschieden, keine Räumung durchführen zu lassen. Bis das Haus abgerissen wird, können die Leute dort wohnen bleiben.

Besetztes Haus ein paar Tage später.

Ich ändere meine Suchstrategie und bewerbe mich nur noch auf Wohnungen von privaten Vermietern. Was bei einem Vermieter möglich war, muss doch auch bei anderen Vermietern möglich sein. Nicht alle Angebote von Privat sind jedoch von privaten Vermietern. Ich besichtige eine schöne Wohnung in Frankfurt Hausen, nur ein paar Schritte von der U-Bahn entfernt gelegen. Die junge Dame, die zur Besichtigung eingeladen hat, ist jedoch gar nicht die Vermieterin. Ich bekomme die Formulare einer Wohnungsbaugesellschaft in die Hand gedrückt und verlasse den Ort etwas frustriert. Hätte ich das vorher gewusst, wäre ich nicht hingefahren.

Feuerwehreinsatz im Studiomuc

Jedes Apartment ist mit einem Herd ausgestattet. Außerdem ist jedes Apartment mit einem Brandmelder ausgestattet. Der Herd ist ziemlich mittig im Zimmer, genau das ist der Brandmelder auch. Beim Anbraten eines Steaks beispielsweise fängt der Brandmelder nach einiger Zeit an, rot zu blinken. Nach fünf Minuten löst er dann einen Feueralarm aus und alle Bewohner dürfen auf die Straße herunterlaufen. In den zweieinhalb Monaten, die ich dort wohne, werde ich fünfmal aus dem vierten Stock vertrieben. Einmal um 3 Uhr am Morgen, einmal um 4:30 Uhr. Wer bitteschön brät um diese Zeit ein Steak? Die Concierge meint, dass oftmals Leute in ihren Zimmern rauchen würden. Dabei steht ausdrücklich im Mietvertrag, dass das Rauchen in den Zimmern verboten ist und die Kaution (1090€) kostet. Das muss ich nicht verstehen.

Weihnachtsbaum vor dem Frankfurter Römer

Eines schönen Tages kurz vor Weihnachten besichtige ich wieder einmal eine Wohnung gemeinsam mit der 80 Jahre alten Vermieterin. Die Dame ist von meiner Geschichte fasziniert, von meinen Dokumenten überzeugt und vielleicht etwas unter Druck, ihre Wohnung alsbald zu vermieten. Sie will für die Dreizimmerwohnung mit 54 m² 600€ Kaltmiete und möchte nur einen einzelnen Mieter, allenfalls ein Paar. Sie will keine Familie mit Kindern und hat keinen Computer. Eine Freundin hat für sie die Wohnung auf dem Immobilienportal eingestellt. Kurz nach Weihnachten unterschreibe ich den Mietvertrag. Die Wohnung ist aufgrund der Dachschrägen viel größer als die 54 m² und etwa so geschnitten, wie die Wohnung in Schwanheim, die ich nicht bekommen konnte.

Mietvertrag und Wohnungsschüssel

Leider ist die Widerrufsfrist für die Verlängerung des Studiomuc einen Tag vorher abgelaufen, 1050€ sind futsch.

Zeitlos und modern

Kurz vor Weihnachten sprießen die Weihnachtsmärkte in den Stadtteilen aus dem Boden. Manche, wie etwa der „große“ Frankfurter Weihnachtsmarkt am Römer, sind über Tage oder gar Wochen geöffnet. Manche, wie der Schwanheimer Weihnachtsmarkt, locken nur an einem einzigen Wochenende die Kunden an.

Nikolaus Express

Der Verein Historische Straßenbahn Frankfurt hat einen Sonderfahrplan für den Schwanheimer Weihnachtsmarkt organisiert, befindet sich doch das derzeit geschlossene Verkehrsmuseum eben in jenem Stadtteil. Historische Straßenbahnen fahren quer durch die Stadt, doch die meisten Fahrgäste nutzen diese Züge um des Fahrens willen – nicht für den Besuch des Weihnachtsmarkts. Mich eingeschlossen. Hier fahren die ältesten Fahrzeuge, die es in Frankfurt zu bestaunen gibt.

RMV Easy On Demand Shuttle nähert sich an.

Im Riederwald gibt es die modernsten Fahrzeuge zu bestaunen. Kostenlos kann man sich hier informieren, wie weit es mit dem autonomen Fahren heutzutage schon gekommen ist. Ohne Fahrer, lediglich mit einem Operator besetzt, drehen autonome Elektroshuttles ihre Runden. Ich installiere mir die App und rufe mir einen der Shuttles. Der kommt dann auch fast zur angekündigten Zeit. Dazu aber später mehr.

Zwei Shuttles

Die Straßen des Stadtteils sind ausgiebig vermessen worden. Nur so können die Fahrzeuge ihren Weg selbst suchen. Manchmal bleiben die Fahrzeuge stehen, weil sie Hindernisse erkennen, die ein Mensch gar nicht als Hindernisse sehen würde. Die Kameras werden manchmal durch Pfützen irritiert. Mein Shuttle macht an einer Kreuzung einen Nothalt, weil Äste von einem Baum über der Fahrbahn hängen. Die Kameras erkennen die dünnen Äste, die ein menschlicher Fahrer ignorieren würde, und das Fahrzeug stoppt. Der Operator muss dann eingreifen und den Shuttle mit einer Funkfernsteuerung am Hindernis vorbei steuern.

Begnungsstelle

Neben den Kameras sind noch Radar- und Lidar-Sensoren an Bord. Damit können die kleinen Busse immerhin bei maximal 20 km/h autonom agieren. Mache Anwohner machen sich einen Spaß daraus, die Shuttles knapp zu überholen. Das führt dann immer zu einer Notbremsung.

Ein Teil der Sensorik ist auf dem Dach

Dass der Shuttle fast nie zur angekündigten Zeit an der Abholstelle eintrifft, hat übrigens mit der Höchstgeschwindigkeit der Fahrzeuge zu tun. Die Software ist die gleiche Software, die andere On-Demand-Angebote des RMV auch nutzen, so wie etwa Knut. Dort sitzen aber Menschen am Steuer, die mit normaler Geschwindigkeit fahren. Deswegen ist RMV-Easy fast immer zu spät dran.

Weitere Sensoren sind auf dem Niveau von Dackelaugen.

Es war eine spannende Testfahrt mit einem außergewöhnlichen Fahrzeug, einem mitteilsamen Operator und interessanten Hindernissen. Bis autonome Linienbusse ein normaler Anblick auf unseren Straßen sind, wird noch viel Gehirnschmalz in die Weiterentwicklung fließen müssen. Es ist jedoch erstaunlich, wie viel heute schon möglich ist. Die alten Fahrzeuge sind optisch allerdings viel ansprechender.

L-Wagen auf dem Weg nach Schwanheim