Omegabrücke. Abbruch. Express.

Wir schreiben den 18. September 2023. Die gesperrte, einsturzgefährdete Brücke muss weg. Die Straße unter der Brücke ist gesperrt. Die S-Bahn fährt nicht mehr, es fahren Ersatzbusse.

Auf unbestimmte Zeit rot
Straße ist unter der Brücke gesperrt
Fahrgastinformation
Ersatzbus

In meinem Briefkasten finde ich eine offizielle Mitteilung der Stadt Frankfurt am Main. Es wird ernst mit dem Abbruch. Ich bin erstaunt, wie schnell das jetzt voran geht. Bemerkenswert finde ich die Tatsache, dass die S-Bahn schon im September wieder fahren soll.

Zum Glück verläuft der Gehweg auf der linken Seite nicht unter der Brücke. Deswegen können wenigstens wir Fußgänger problemlos zum Bahnhof laufen.

Gesperrt

Innerhalb von zwei Tagen werden jede Menge Baumaterial und Maschinen aufgefahren. Zunächst wird die Brücke stabilisiert für die Abbrucharbeiten und der Gleiskörper wird vor Beschädigungen geschützt. Die Fahrleitung muss natürlich auch abgeschaltet und abgebaut werden.

Spannend für Groß und Klein. Der Abbruch wird vorbereitet.
Stabilisierung der Brückenpfeiler durch Gurte
Vom Bahnsteig aus betrachtet. Gut zu erkennen ist der Schutz der Gleise über die ganze Breite der Strecke.

Wir schreiben den 23. September. Ein paar Tage mit Vorbereitungen sind vergangen. Heute beginnen die eigentlichen Arbeiten. Die großen Maschinen ziehen die Menschen in ihren Bann. Ich schicke ein paar Bilder in die Familiengruppe und bekomme die Antwort von meiner Schwester, dass sie noch mehr Bilder will. Sie findet die großen Maschinen faszinierend.

Am Nachmittag beginnen die Abbrucharbeiten.

Die Maschinen lärmen schon seit ein paar Stunden, ich mache mich zu einem kleinen Spaziergang auf den Weg. Schon in der kurzen Zeit wurde ein ordentliches Stück Gehweg abgebrochen. Oder vielmehr abgebissen.

Die besten Plätze sind die Sitzplätze
Stehplatzkurve

Ich bewege mich um die Baustelle, schieße hier und dort ein paar Bilder und lasse die Szenerie auf mich wirken. Die Arbeiten gehen rund um die Uhr. Noch vor Mitternacht sind die Fortschritte nicht zu übersehen.

Wie ein riesiger Dinosaurier frisst der Bagger Stück für Stück Brocken aus dem Stahlbeton

Wie Raubtiere sich rund um einen frisch gerissenen Kadaver den Magen voll schlagen, fressen sich die Maschinen von allen Seiten unter großer Lärmentwicklung durch den Beton. Bei Tieren wäre es wohl eher ein zufriedenes Grunzen und Schmatzen, an der Brücke ist es das Brüllen der Dieselmotoren und das Krachen der Brocken auf den Boden.

Nicht so ein kleiner Presslufthammer, wie er auf vielen Baustellen im Einsatz ist. Hier wird der Beton mit einer Maxi-Version zerkleinert.

Die Schläge, mit denen der Bagger die Betonteile lockert, lassen rund um die Brücke den Erdboden vibrieren. Die Vibrationen fühle ich noch in 100 Metern Entfernung. Zu hören sind die Schläge sogar in meiner Wohnung, die sich 500 Meter und mehrere Querstraßen entfernt befindet. Ich schließe mein Schlafzimmerfenster und kann gut einschlafen.

Der mittlere Teil der Brücke über den Gleisen fällt schon in der ersten Nacht

Auch am nächsten Morgen ist das allgemeine Interesse an den Arbeiten nicht geringer geworden. Ich bin selbst natürlich genauso neugierig wie alle anderen. Was ich nicht erwartet hätte ist, dass schon nach der ersten Nacht der mittlere Teil komplett verschwunden sein würde. Nur noch der Schutt auf dem Boden zeugt von der ehemaligen Überquerung der Gleise.

Unstillbarer Appetit

Der Appetit der großen Mäuler ist schier unstillbar. Wie ein Getränk zu Mahlzeit wird dem Monster Wasser gegen die Staubentwicklung gereicht.

Vom Bahnsteig aus betrachtet am zweiten Tag

Gegen Mittag fahre ich ins Stadion. Die Eintracht hat ein Heimspiel gegen Freiburg. Natürlich bin ich nicht auf dem Bahnsteig, um auf die S-Bahn zu warten, sondern nur für dieses Foto. Dann schnappe ich mir mein Fahrrad, denn ich habe keine Lust, spät in der Nacht mit Straßenbahn und Bus wieder nach Hause zu fahren. Flexibilität ist Trumpf in diesen Tagen.

Über das Spiel müssen wir nicht viele Worte verlieren. Vor dem Spiel ist die Stimmung groß, doch der Endstand ist lediglich ein 0:0. Mit dem Fahrrad bin ich in einer halben Stunde zu Hause, das ist Rekordzeit. Ich mache noch einen Abstecher zur Baustelle.

Die zweite Nacht, der Tanz geht weiter

Der sorgsam choreographierte Tanz der Ungetüme geht ohne Pause weiter. Auch in der zweiten Nacht fällt der Beton Stück für Stück. Immer noch zittert der Untergrund. Es ist spät geworden an diesem Sonntag. Am Montag fahre ich zwar nicht zur Arbeit ins Büro, doch mein Spaziergang ins Home-Office führt mich von der Küche aus über einen Umweg an der Baustelle vorbei ins Arbeitszimmer.

Am dritten Tag sind die Schienen frei.

Die Schienen sind frei und die Aufräumarbeiten haben begonnen. Das ging richtig schnell. Ich habe die Hoffnung, dass das Tempo beibehalten wird, dass die S-Bahn bald wieder fährt. Doch nach den Aufräumarbeiten ist erst einmal Feierabend. Feierabend ist auch irgendwann in meinem Home-Office und mein Besuch der Baustelle führt mich zu einer friedlichen Szenerie.

Still ruht die Baustelle

Nach zweieinhalb Tagen Lärm, Staub und Vibrationen bietet sich mir ein Bild der Harmonie. Die Brückentrümmer warten auf ihren Abtransport, doch nirgendwo bewegen sich Lastwagen. Die Motoren der Bagger sind verstummt. Die Bauarbeiter sind verschwunden. Das Werk ist vollbracht. Die Bahnstrecke ist wieder komplett frei.

Der Morgen danach

Gleich am nächsten Morgen ist wieder etwas zu sehen. Wieder nehme ich den langen Weg in mein Home-Office. Die Maschinen haben sich verändert. Geradezu filigran wirken die Schienenfahrzeuge gegenüber den beim Abbruch verwendeten Kolossen. Hier wird wieder Aufbauarbeit geleistet, die Fahrleitung muss neu gespannt werden.

Handarbeit statt Maschinenkraft.

Wir schreiben den 26. September. Die Sperrung der Straße unter der Brücke ist gerade einmal eine Woche her. Es sieht aus, als könne die erste S-Bahn heute noch in Griesheim halten. Das ist natürlich Wunschdenken. So schnell geht es nicht. Das alles muss noch abgenommen werden. Deswegen dauert es noch bis zum 28. September, bis sich die Bahnschranken wieder regelmäßig schließen.

Jetzt gibt es auch für PKWs keine andere Möglichkeit, sie müssen am Bahnübergang über die Schienen

Ich bin ein wissbegieriger Mensch. Welche Auswirkungen hat das auf den Straßenverkehr? Wie sieht es am Bahnübergang aus? Einen kurzen Spaziergang später bin ich schlauer. Ich würde sagen, die Auswirkungen sind deftig. Die Autos, die es noch über die Schranke geschafft haben, werden durch den Bus blockiert, der es nicht mehr um die Ecke geschafft hat.

Gerade geöffnet, schon wieder Rot

Zwei S-Bahnlinien, die jeweils alle 15 Minuten fahren, bedeutet acht Züge pro Stunde pro Richtung. Die Schranke schließt sich also recht häufig. Eine weiträumige Umfahrung der Schranke ist möglich, es wird sich zeigen, wie sich die Situation einspielt. Für die Pünktlichkeit der Buslinien 54 und 59 ist es natürlich Gift.

Alleinstellungsmerkmal der Buslinie 59: Sie hat zwei Bahnübergänge auf ihrem Linienweg

Fahrpläne verlieren ihre Verbindlichkeit, werden zur Fiktion. Manchmal kommen mehrere Busse kurz hintereinander, manchmal kommen sie auch nicht. Oder später. Die Linie 59 trifft es besonders schwer, weil sie zwei Bahnübergänge auf ihrem Linienweg hat. Der andere Bahnübergang an der Oeserstraße hat auch üppige Schließzeiten. Hier verkehren mehrere Regionalexpress-Linien, ICEs und Güterzüge. Für mich ist die Durststrecke zu Ende, die S-Bahn fährt mich wieder mit ihrer üblichen Unpünktlichkeit zur Arbeit. Für mich wurde der Grundstein zum regelmäßigen Home-Office gelegt.

Happy 2023

Das Jahr 2022 geht zu Ende, ab morgen schreiben wir 2023. Ich bin zwar immer noch arbeitslos, zum Glück aber nicht mehr wohnungslos. Ab sofort kann ich viel mehr Energie für die Arbeitssuche aufwenden. Ich muss nicht mehr kreuz und quer durch Frankfurt fahren, um mir Wohnungen anzusehen. Ein großer Freund von Silvesterpartys bin ich nicht, doch habe ich mir für heute Nacht vorgenommen, das Feuerwerk am Main zu besuchen. Es ist kein organisiertes Feuerwerk, sondern wird spontan von den Menschen veranstaltet, die ihre Raketen und Böller an den Main tragen. Auf dem Weg nach Sachsenhausen treffe ich zwei Franzosen, die am RMV-Fahrkartenautomaten verzweifeln. Ich kann ihnen in ihrer Sprache aushelfen, kurze Zeit später begleiten sie mich ins Kneipenviertel. In der Straßenbahn gesellt sich noch ein junger Kölner dazu, der von seinen Freunden getrennt wurde und nicht weiß, wo die Party stattfindet. Ihm kann geholfen werden.

Feuerwerk am Main

Zunächst trennen sich unsere Wege am Lokalbahnhof. Der Kölner hat inzwischen Kontakt zu seinen Freunden aufnehmen können, die sich natürlich ebenfalls in Alt Sachsenhausen herumtreiben. Die beiden Franzosen wollen erst einmal ihren Durst stillen. Ich suche mir gleich einen guten Platz auf einer Brücke. Schon jetzt um kurz nach 23 Uhr wird außerordentlich viel Pyrotechnik verbrannt. Es ist das erste “normale” Silvesterfest seit der Pandemie. Die Stimmung ist hervorragend. Um kurz vor Mitternacht sehe ich die beiden Franzosen wieder. Sie haben es noch rechtzeitig zum großen Knallen an den Main geschafft.

Das Feuerwerk wird intensiver

Ein fließender Übergang zum neuen Jahr findet statt. Offenbar zeigt jede Uhr eine andere Uhrzeit, die Knallerei wird intensiver und intensiver. Das Gedränge auf der Brücke hält sich schwer in Grenzen. Es werden weniger Böller in die Menge geworfen, als ich es in Erinnerung habe. Ein schwacher Wind vertreibt die Rauchschwaden, die sonst oft nach wenigen Minuten für eine undurchsichtige Rauchwolke sorgen. Wie üblich stoße ich mit allen Umstehenden an und wünscht ein gute neues Jahr. Nebenbei entsorge ich abgelaufene Seenot-Signalmittel. Die seit mehreren Jahren abgelaufenen Bengalos, Leuchtkugeln und Fallschirm-Raketen funktionieren so, wie es der Hersteller vorhergesehen hat.

Farbenfrohe Vergänglichkeit vor der Frankfurter Skyline

In der Straßenbahn wird weiter gefeiert, ich kann fast nur fröhliche Menschen sehen. Im Gegensatz zu dem, was in den nächsten Tagen aus Berlin bekannt wird, bleibt es in Frankfurt friedlich. Nur ein junger Mann tanzt aus der Reihe, er hat sich beim Feiern wohl ein wenig übernommen.

Morgens um halb Drei in Frankfurt

Noch wohne ich im Studiomuc und nicht in meiner neuen Wohnung in Griesheim. Das ist heute Nacht sehr praktisch, denn die Straßenbahn fährt mich bis vor die Tür.


Jetzt beginnen einige sehr ruhige Wochen. Ich kaufe viele meiner Lebensmittel auf den Wochenmärkten an der Konstablerwache und in Preungesheim. Viele Marktbeschicker bleiben die ersten Wochen in jedem Jahr zu Hause. Das gipfelt am 6. Januar in einem wirklich leeren Preungesheimer Markt. Lediglich der Feinkost-Stand, der Käsewagen und der Bierbulli haben sich zum ersten Markt 2023 eingefunden. Was ich nicht auf dem Markt kaufen kann, muss ich leider nebenan im Supermarkt holen.

Preungesheimer Markt am 6.1.2023

Studiomuc

Der große Vorteil des Reisens auf dem eigenen Boot ist, dass man sich nie Gedanken darüber machen muss, wo man die kommende Nacht schlafen wird. Koje, Küche und Kühlschrank reisen mit. Wenn ich 2019 gewusst hätte, wie sich die Welt in 2023 entwickelt haben wird, hätte ich meine Wohnung in Frankfurt Bonames nicht aufgegeben. Wahrscheinlich hätte ich meinen Job nicht aufgegeben und wäre nicht losgefahren. War es ein Fehler, einen solch radikalen Schnitt zu machen?

studiomuc Apartmenthaus

Der erste Teil der Wohnungssuche ist von Holland aus einigermaßen schnell erledigt. Ich buche mir ein möbliertes Apartment in einem sogenannten Boardinghaus. Hier muss ich nur mit meinem Kontostand die Zahlungsfähigkeit beweisen. Dafür darf ich dann ab dem 15. Oktober für 1050€ im Monat 18,7 Quadratmeter bewohnen. Das sind 35€ pro Nacht, kaum günstiger als das Hotel auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Dort bewohne ich zunächst für 40€ pro Nacht ein knapp 13 Quadratmeter großes Zimmer.

Rezeption. Von Montag bis Freitag zwischen 7 und 19 Uhr besetzt.

An Wochentagen sitzt hier von 7 bis 19 Uhr ein Concierge. Das ist praktisch, denn hier werden Pakete angenommen. Außerdem nimmt er Beschwerden an, etwa wenn die Küchenspüle undicht ist.

Großzügige Eingangshalle. Sie ist fast immer leer.

Die großzügige Eingangshalle spiegelt Weitläufigkeit und Luxus vor. Sie wird fast nie genutzt. Einmal wurde sie für eine Party einen Abend lang vermietet. In den Zimmern selbst findet sich diese Weite nicht. Ich bin dennoch froh, unbürokratisch und schnell eine vorläufige Bleibe gefunden zu haben.

Blick aus dem Eingangsbereich ins Zimmer. Es gibt eine Mikrowelle aber keinen Backofen.
Küchenzeile und riesige Schränke zum Verstauen meiner wenigen Sachen.

Home Sweet Home. Es scheint, als sei alles vorhanden, was man zum Leben braucht. Von hier aus werde ich die Suche nach einer permanenten Wohnung beginnen. Auch die Suche nach einer Arbeitsstelle wird dringender. Noch habe ich genug finanzielle Rücklagen, doch über kurz oder lang werden diese aufgebraucht sein. Ich muss die Lebenskosten drücken und wieder für einen regelmäßigen Geldeingang auf meinem Konto sorgen. Das ist ab sofort mein Job.

Kaffee-Ausrüstung, die zweimal über den Atlantik gefahren ist. Die Bohnen sind frisch.

In den Werbeprospekten für Studiomuc sieht man eine junge Frau, die entspannt auf dem Sofa liegt und einen Laptop auf ihren Oberschenkeln balanciert. So könnte ich eine Email beantworten, dann würde ich mich mit Rückenschmerzen auf eben dieser Couch zusammen krümmen. Also setze ich mich lieber an den kleinen Tisch, der mir aber in Verbindung mit dem Stuhl keine vernünftige Arbeitshaltung am Computer erlaubt. Auf Sissi am Salontisch mit dem Computer zu arbeiten, ist wesentlich entspannter. Lange kann ich hier nicht wohnen.

Blick aus meinem Apartment auf die Frankfurter Skyline im Hochnebel.

Die letzte Wohnung habe ich in 2012 gesucht. Damals gab es noch mehr als eine Plattform im Internet zur Wohnungssuche. Damals gab es auch noch Immobilienanzeigen in der Tageszeitung, die ich auf Papier gedruckt jeden Morgen in den Briefkasten geworfen bekam. Damals musste der Mieter dem Makler noch seine Provision bezahlen. Damals hatte ich innerhalb von vier Wochen eine neue Wohnung gefunden. Heute gibt es offenbar nur noch eine Plattform. Die Immobilienmakler sammeln jetzt intimste Daten potenzieller Mieter, um dem Vermieter passgenaue Vorschläge zu präsentieren. Fast jede Wohnungsbaugesellschaft hat zusätzlich noch eigene Plattformen, in denen man sich registrieren muss. Selbstverständlich darf man überall mehr oder minder die gleichen intimen Daten eingeben. Außerdem benötigt man eine Schufa-Auskunft (ca. 30€).

Schufa-Auskunft

Ich klicke jede Wohnung an, die auch nur ansatzweise in Frage kommt. Dann beginnt der lustige Teil. Von Nord nach Süd, von Ost nach West tingele ich mit der Straßenbahn und nehme an Wohnungsbesichtigungen teil. Fruchtlos. Ich kann kein regelmäßiges Einkommen nachweisen. Das bringt mich wieder zu meinem Zweitjob, der Arbeitssuche. Doch der Tag hat nur 24 Stunden, die nächste Wohnungsbesichtigung wartet schon. Ich habe einen Termin im äußersten Westen Frankfurts. Wenigstens ist die Wohnung keine fünf Minuten von der S-Bahnstation Sindlingen entfernt. Die “teilmöblierte” Einzimmerwohnung mit 25 m² soll 540€ kalt kosten. Sie ist im Erdgeschoss und die Möblierung besteht aus einer Einbauküche, deren Türen schief in den Scharnieren hängen. Gemeinsam mit einem halben Dutzend Teilnehmern bekunde ich, dass mein Interesse ungebrochen ist. Später am Tag habe ich noch einen Termin im äußersten Osten. Dort sind zwei Zimmer auf 40 m² mit Balkon für 620€ im Angebot. Die S-Bahn wird hier in der Nähe erst in vielen Jahren ankommen. Man muss mit dem Bus die eineinhalb Kilometer zum Bahnhof fahren. Auch hier bekunde ich mein ungebrochenes Interesse am einem ehemaligen Wohnheimzimmer eines ehemaligen Altenpflegeheims.

Wohnungsanzeige in einem Schaukasten

Ich laufe viele Wohnviertel ab, betrete Supermärkte und schaue mir Kleinanzeigen an. Manchmal finden sich sogar Wohnungsangebote, meistens sind es jedoch Gesuche. Eine Wohnungsbaugesellschaft hat sogar einen Schaukasten. Vielleicht ist diese Wohnung ja nicht im Internet zu finden, ich bewerbe mich sofort per Email. Inzwischen bin ich völlig schmerzfrei beim Umgang mit den persönlichen und intimen Daten. Hauptsache, ich bekomme endlich eine Wohnung. Mit der Zeit trudeln die Absagen herein. Immer wieder werde ich aufgefordert, einen Gehaltsnachweis einzureichen. Eine Wohnung jedoch sticht aus allen Angeboten heraus. Sie liegt in Schwanheim und wird von Privat vermietet. Ich bin der einzige Interessent beim Besichtigungstermin. Der Makler ist der Meinung, dass er das Problem mit dem Gehaltsnachweis beim Vermieter wegdiskutieren kann. Wir machen einen zweiten Termin mit der Beauftragten der Erbengemeinschaft. Ich kann mein Glück kaum fassen. Schwanheim ist zwar reichlich abseits des Zentrums gelegen, doch wenigstens gibt es eine Straßenbahn. Drei Tage später ruft mich der Makler an. Die Erbengemeinschaft hat entschieden, die Wohnung zunächst nicht zu vermieten. Ich bin wieder am Anfang.

Hausbesetzung im Frankfurt Gallusviertel, Günderrodestraße

Ein paar Schritte von meinem Apartment im Studiomuc haben einige Dutzend junge Menschen für sich eine Antwort gefunden und ein Haus besetzt. Vom S-Bahnsteig aus kann ich beobachten, wie die Polizei das Gebäude umringt. Hier werden über kurz oder lang günstige Altbauwohnungen durch neu gebaute moderne Wohnungen ersetzt. Die jungen Menschen demonstrieren für den Erhalt günstigen Wohnraums und mein Verständnis ist grenzenlos. Der Eigentümer des Grundstücks hat sich dann entschieden, keine Räumung durchführen zu lassen. Bis das Haus abgerissen wird, können die Leute dort wohnen bleiben.

Besetztes Haus ein paar Tage später.

Ich ändere meine Suchstrategie und bewerbe mich nur noch auf Wohnungen von privaten Vermietern. Was bei einem Vermieter möglich war, muss doch auch bei anderen Vermietern möglich sein. Nicht alle Angebote von Privat sind jedoch von privaten Vermietern. Ich besichtige eine schöne Wohnung in Frankfurt Hausen, nur ein paar Schritte von der U-Bahn entfernt gelegen. Die junge Dame, die zur Besichtigung eingeladen hat, ist jedoch gar nicht die Vermieterin. Ich bekomme die Formulare einer Wohnungsbaugesellschaft in die Hand gedrückt und verlasse den Ort etwas frustriert. Hätte ich das vorher gewusst, wäre ich nicht hingefahren.

Feuerwehreinsatz im Studiomuc

Jedes Apartment ist mit einem Herd ausgestattet. Außerdem ist jedes Apartment mit einem Brandmelder ausgestattet. Der Herd ist ziemlich mittig im Zimmer, genau das ist der Brandmelder auch. Beim Anbraten eines Steaks beispielsweise fängt der Brandmelder nach einiger Zeit an, rot zu blinken. Nach fünf Minuten löst er dann einen Feueralarm aus und alle Bewohner dürfen auf die Straße herunterlaufen. In den zweieinhalb Monaten, die ich dort wohne, werde ich fünfmal aus dem vierten Stock vertrieben. Einmal um 3 Uhr am Morgen, einmal um 4:30 Uhr. Wer bitteschön brät um diese Zeit ein Steak? Die Concierge meint, dass oftmals Leute in ihren Zimmern rauchen würden. Dabei steht ausdrücklich im Mietvertrag, dass das Rauchen in den Zimmern verboten ist und die Kaution (1090€) kostet. Das muss ich nicht verstehen.

Weihnachtsbaum vor dem Frankfurter Römer

Eines schönen Tages kurz vor Weihnachten besichtige ich wieder einmal eine Wohnung gemeinsam mit der 80 Jahre alten Vermieterin. Die Dame ist von meiner Geschichte fasziniert, von meinen Dokumenten überzeugt und vielleicht etwas unter Druck, ihre Wohnung alsbald zu vermieten. Sie will für die Dreizimmerwohnung mit 54 m² 600€ Kaltmiete und möchte nur einen einzelnen Mieter, allenfalls ein Paar. Sie will keine Familie mit Kindern und hat keinen Computer. Eine Freundin hat für sie die Wohnung auf dem Immobilienportal eingestellt. Kurz nach Weihnachten unterschreibe ich den Mietvertrag. Die Wohnung ist aufgrund der Dachschrägen viel größer als die 54 m² und etwa so geschnitten, wie die Wohnung in Schwanheim, die ich nicht bekommen konnte.

Mietvertrag und Wohnungsschüssel

Leider ist die Widerrufsfrist für die Verlängerung des Studiomuc einen Tag vorher abgelaufen, 1050€ sind futsch.